4.5.1 Jean-Jacques Rousseau: Biographie

Jean-Jacques Rousseau wurde 1712 in Genf als Sohn eines protestantischen Uhrmachers geboren. Seine Mutter starb bei der Geburt. Rousseau wird zunächst fürsorglich von seinem Vater behütet und gefördert. Zusammen lesen sie viel: Zu den zahlreichen Bettlektüren zählen etwa Biographien grosser Denker. Die Leselust sollte Rousseau Zeit seines Lebens begleiten. 1722 muss der Vater aus Genf fliehen und hinterlässt den 10-jährigen Rousseau sich selber. Dieser lebt zunächst bei einem Pfarrer, der ihn unterrichtet und anschliessend bei einer Tante. Da er aber an beiden Orten misshandelt wird, bleibt er nicht lange. Von diesem Zeitpunkt an soll er eine Wanderseele bleiben, die sich stets autodidaktisch weiterentwickelt.

1728 reist Rousseau nach Savoyen, wo er eine junge Waadtländerin, Madame de Warens, kennenlernt. Sie beeinflusst den jungen Mann fortan beträchtlich. Auf ihr Geheiss hin reist Rousseau nach Turin, wo er im Katholizismus unterrichtet wird und in diese Konfession übertritt. Ein Jahr später kehrt er zu Madame de Warens zurück. Ihrem Vorschlag folgend tritt er für kurze Zeit in das Priesterseminar von Annecy ein. Anschliessend vermittelt sie ihn an den Leiter der Dom-Musikschule, da er ihr während der Hausmusikstunden als talentierter Sänger aufgefallen war. Der Schulleiter nimmt Rousseau bei sich auf und unterrichtet ihn in Chorgesang und Flöte. Es folgen einige fruchtbare Monate, in denen Rousseau die Grundlagen seiner Musikkenntnisse erwirbt. Weitere Aufenthaltsorte sind Lausanne, Nyon, Neuenburg und Paris. Als Musiklehrer probiert Rousseau sein Glück aus, doch bleibt ihm der Erfolg vorerst verwehrt. Er muss arbeiten wie er kann, als Diener oder als Bettler. Die von ihm teilweise erlittene Armut erlaubt ihm einen Blick auf die Probleme dieser Bevölkerungsgruppe.

Von 1732 bis ca. 1740 lebt Rousseau bei Madame de Warens und kann sich vielseitig entfalten. Er liest, musiziert, studiert und experimentiert. Auch reist er und knüpft Beziehungen zu wissenschaftlichen und literarischen Kreisen. In dieser für ihn idyllischen Zeit beginnt er zu schreiben. Parallel dazu entwickelt er ein Notensystem, das er in Paris patentieren lässt.

Rousseau wird im Jahr 1743 Sekretär des Gesandten Frankreichs in Venedig. Er verkehrt vermehrt in vornehmeren Pariser Kreisen und verfasst verschiedene Vers- und Prosadichtungen. Seine Popularität wächst zwar stetig, doch ist das junge Multitalent keineswegs finanziell gesichert. Ab 1749 nimmt seine Karriere eine Wende. So schreibt er einen Artikel über Musik für die Encyclopédie Diderots. 1750 nimmt er an einem Wettbewerb teil mit dem Schriftstück Hat die Wiederherstellung der Wissenschaften und Künste dazu beigetragen, die Sitten zu läutern? und wird damit europaweit bekannt. Von diesem Zeitpunkt an nehmen seine Schriften eine besonders kritische Note an, sodass seine Werke kontrovers diskutiert werden.

Erfolg erlangt Rousseau 1752 mit seiner Oper Le Devin du Village und 1753 mit dem Theaterstück Narcisse (ein Jugendwerk). Im Jahr 1755 erscheint sein Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes (Abhandlung über Ursprünge und Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen). Rousseau erklärt darin die soziale Ungleichheit, welche sich im Zuge der Arbeitsteilung herausgebildet hat. Diese soziale Ungleichheit ermöglicht – nach Rousseau – die Anhäufung der Arbeitserträge Vieler durch einige Wenige. Schliesslich würden diese Wenigen autoritäre Staatswesen erschaffen, um den akkumulierten Besitzstand zu schützen. Der immer produktivere Rousseau bringt 1761 einen Briefroman, Julie, hervor, der als Beispiel für zahlreiche weitere Romane in Briefform dient. Ferner werden zwei seiner Werke im Jahr 1762 publiziert: Einerseits Emile, andererseits Du contrat social ou Principes du droit politique (Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechtes). Letzteres wird sogleich in Paris verboten und ein Haftbefehl gegen Rousseau erlassen, sodass er fliehen muss. In Bern wird Rousseau nur kurze Zeit geduldet. Als Armenier gekleidet kann er schliesslich einige Zeit in Neuenburg verbringen.

Obschon aufgrund der Verunglimpfungen psychisch angeschlagen, produziert er weitere Schriften, Theaterstücke und Musik. Seine Confessions verfasst er zwischen 1765 und 1770, sie wird aber erst postum herausgegeben. Das lyrische Kleindrama Pygmalion hingegen wird noch zu seinen Lebzeiten aufgeführt. Erst im Jahr 1770 kehrt er wieder nach Paris zurück. Dort lebt er zurückgezogen und wird von den Behörden bloss geduldet. Nach und nach bekennen sich seine Anhänger, er wird vermehrt in die Gesellschaften zu Lesungen eingeladen. Rousseau wird erstmals bewusst, dass seine politischen Ideen durchaus Nachhall gefunden haben. Vor seinem Tod verfasst er noch zwei autobiographische Werke, ein kritisches, Rousseau juge de Jean-Jacques, und ein lyrisches, Rêveries du promeneur solitaire. Letzteres gilt als literarische Vorbereitung auf die Zeit der Romantik.

Rousseau stirbt 1778 und hinterlässt ein grossartiges Oeuvre. Sein Werk erstreckt sich über verschiedenste Gebiete, von Musik über Botanik, zwischen politischer Ideologie und literarischer Vielfalt. So schön seine Schriften literarisch klingen, so schwer sind sie ideologisch zu fassen. Aus diesem Grund wird er von seiner Nachwelt häufig als widersprüchlich charakterisiert. Mag diese Haltung auf den ersten Blick überzeugend erscheinen, verkennt sie allemal das Genie Rousseau, das nur in seiner Gesamtheit und abstrakt verstanden werden kann.