Fragen zu Federalist Nr. 10:
Frage
Warum wird in einer grossen Republik das öffentliche Wohl besser gewahrt?
In einer grossen Republik ist die Auswahl fähiger Volksvertreter grösser (17). Damit
haben charakterlose Kandidaten eher Schwierigkeiten, gewählt zu werden (18). Zudem
lassen sich Mehrheitsfaktionen in einer grossen Republik weniger leicht bilden (20),
sodass eigennützige Mehrheiten nur mit Mühe entstehen können (21). Auf Gesamtstaatsebene
sind die Auswirkungen von Faktionen in einer grossen Republik weniger verheerend (22).
Frage
Welche Vorteile hat ein Bundesstaat, wie er gemäss Verfassung geplant ist, gegenüber
dem Einzelstaat?
Die nationale Legislative behandelt Interessen von allgemeiner bzw. gesamthafter Bedeutung
für die Nation. Währenddessen werden Fragen, welche von gliedstaatlichem Interesse
sind, der Regulierung der Gliedstaaten überlassen. Auf diese Weise entsteht ein angemessener
Abstand der Volksvertreter zu den gesellschaftlichen Interessen (nicht zu grosse Abhängigkeit
und doch genügende Vertrautheit) (19).
Frage
Inwiefern entfernt sich "Madisons Republik" vom klassischen Verständnis, wonach sich
die Republik auf die Tugend der Bürger stützt?
Eine klassische Republik gemäss bürgerlich-humanistischer Tradition (griechische Polis,
Rousseau und Anti-Federalists) bedarf zur Umsetzung des Ideals der Volksherrschaft
eines gesamtgesellschaftlichen Ethos, einer Tugendbasis (= volonté générale). Repräsentation
ist aus dieser Sicht nur ein notwendiges Übel. Zersplittert das Gesamtethos in einen
Pluralismus von Meinungen und Interessen (wie in grossen Staaten mit grossen Bevölkerungszahlen),
verliert die direkte Demokratie ihre soziologische Grundvoraussetzung.
Madison hingegen rechnet von vornherein mit starken Interessengegensätzen und fehlender
Tugendbasis (5). Er hält Interessenkonkurrenz um der individuellen Freiheit Willen
für unvermeidbar (4–7: Faktionen, Eigentümergesellschaft). Die Herausforderung besteht
für ihn darin, einer Gesellschaft von widerstreitenden Interessen einen Staat zu geben,
der das Allgemeininteresse, das öffentliche Wohl, verfolgt. Dazu braucht es eine Repräsentative,
die – in diametralem Gegensatz zur Tugendrepublik – genügend Abstand zu gesellschaftlichen
Interessen hat sowie unbefangen und unparteiisch ist (Repräsentation als Tugend).
Fragen zu Federalist Nr. 15:
Frage
Inwiefern haben die dreizehn unabhängigen Kolonien von Nordamerika „die tiefste Stufe
nationaler Demütigung erreicht“?
Die Kolonien werden geplagt von hoher Staatsverschuldung, durch militärstrategische
Verluste, Preiszerfall von Grund und Boden und von den Standortnachteilen im internationalen
Handel (1).
Frage
Welches ist der Grundfehler der „Articles of Confederation“?
Die Gesetzgebung dieses Bündnisses bindet nur die Einzelstaaten, nicht direkt die
Individuen. Ob die Einzelstaaten die Konföderationsgesetze durchsetzten, verkommt
zur Machtfrage, weil keine gemeinsame Berufungsinstanz besteht, welche die Nichtbefolgung
autoritativ und unter Androhung von Zwang entscheiden könnte (3: „Gewalt und Blut
des Schwertes an die Stelle des milden Eingreifens von Regierung“).
Die Situation der Confederation, dieses Staatenbundes, ist dieselbe wie im Völkerrecht.
Wie das Beispiel Europas im 18. Jhdt. lehrt, ist die Einhaltung völkerrechtlicher
Abkommen zwischen Staaten eine Frage der Macht und nicht des Rechts (Theorie der internationalen
Beziehungen, „Realismus“), da sie „keine andere Sanktion als die Obliegenheiten des
guten Glaubens kennen (4, 5).
Zum Zweck einer wirksamen Gesetzgebung braucht es deshalb anstelle eines Bündnisses
eine Union, deren Beschlüsse für die Einzelnen Geltung haben und mittels staatlichem
Gewaltmonopol durchgesetzt werden können.
Frage zu Federalist Nr. 32:
Frage
Wie funktioniert die Aufgabenteilung zwischen Union und Einzelstaaten?
Alle Aufgaben, die nicht durch das Verfassungsdokument ausschliesslich der Union übertragen
sind, verbleiben den Einzelstaaten (siehe v.a. Amendment X; vgl. auch Art. 3 und 42
BV).
Hamilton geht speziell auf die vorgesehene Steuererhebungskompetenz der Union ein,
da dieser Punkt angesichts der historischen Hintergründe („Steuerterror“ durch Englische
Krone: Stamp Act, Townshend Act, Tea Act) besonders heikel ist. Hamilton meint, dass
ein Missbrauch der Steuerkompetenz aus Gründen der politischen Vernunft („Überzeugung
von der Nützlichkeit und Notwendigkeit lokaler Verwaltung für lokale Aufgaben“) und
der Machtverhältnisse („das ausserordentliche Risiko, die Ablehnung der Einzelstaaten
zu provozieren“) nicht zu befürchten sei. Ausserdem verbleibe gemäss Konventsentwurf
den Einzelstaaten die volle Kompetenz, zur Bestreitung ihrer Aufgaben Steuern zu erheben
(geändert mit der Einführung der Unionseinkommensteuer in Amendment XVI).
Frage zu Federalist Nr. 39:
Frage
Charakterisieren Sie in folgender Tabelle anhand von Federalist Nr. 39 die Natur des
amerikanischen Regierungssystems entweder als "national" (Gesamtnation), "föderal"
(bundesstaatlich) oder "gemischt":
Leere Tabelle zum Aufüllen
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National
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Föderal
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Gemischt
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Fundament: Erstmalige Verfassungsschöpfung durch Einstimmigkeit der Gliedstaatsvölker
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X
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Quellen der Nationalen Regierungsgewalt
Repräsentantenhaus
Senat
Präsident
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X
X
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X
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X
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Funktionsweise der Regierungsgewalt: Direkte Anwendbarkeit der Gesetze
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X
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Umfang der Kompetenzen: Teilung der öffentlichen Aufgaben zwischen Bund und Einzelstaaten
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X
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Verfassungsänderungen: Zustimmung einer qualifizierten Mehrheit von Staaten
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X
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Gesamtbeurteilung
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X
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Tabelle in Druckversion
Fragen zu Federalist Nr. 51:
Frage
Weshalb bedarf es der Aufteilung der Gewalten in einem Staat?
Zur Verhinderung von Machtmissbrauch.
Federalist Nr. 51 geht von folgendem Menschenbild aus: Der Mensch ist von Natur aus
egoistisch und strebt nach Macht, Besitz und Ansehen. Engel bräuchten keine Regierung.
(3, vgl. Kant, Locke, Harrington, Montesquieu; s. Rousseau: Contrat Social III. 4.:
«Gäbe es ein Volk von Göttern, so würde es sich demokratisch regieren. Eine so vollkommene
Regierung passt für Menschen nicht.»). Die Denker, die von einer pessimistischen Anthropologie
ausgingen, haben oft die besten Regierungssysteme entworfen, da sie sich der Aufgabe
stellten, Vorkehrungen gegen Machtmissbrauch treffem, anstatt eine Regierung auf „edle
Motive“ zu bauen (s. Abs. 4).
Frage
Welche Arten von Gewaltenteilung will Madison verwirklichen? Wie?
Madison sieht mit derselben Differenziertheit wie Montesquieu die Notwendigkeit verschiedener
Gewaltenteilungen: eine institutionelle, eine föderale und eine gesellschaftliche.
Institutionelle Gewaltenteilung (horizontal): Der Grundsatz der Trennung der drei Staatsgewalten soll mittels Ernennung durch das
Volk realisiert werden. Ausnahmen von der reinen Gewaltentrennung können sich aus
Elementen der Gewaltenverschränkung ergeben.
Bei der richterlichen Gewalt sollte es primär um den Auswahlmodus gehen, denn Richter
brauchen besondere Qualifikationen einerseits und sollten andererseits unmittelbar
nach ihrer Wahl die Abhängigkeit zur wählenden Autorität vollends verlieren (2);
Das Übergewicht der Legislative wird mittels Vetorecht (5) des Präsidenten kompensiert.
Zur Veranschaulichung:
Gewaltenhemmung
Ein weiteres Mittel institutioneller Gewaltenteilung ist die Verquickung von persönlichem
Interesse und Amtsinteresse mittels Selbstvergütung der amtlichen Tätigkeit (3); allerdings
bringt eine zu starke Verquickung Korruptionsgefahr mit sich.
Gewaltenteilung im Bundesstaat (vertikal): Hierbei existieren zwei getrennte Regierungssysteme parallel zueinander: dasjenige
der Unionsregierung und jenes der Einzelstaatsregierungen. Auch diese sorgen für die
gegenseitige Hemmung (8).
Gewaltenteilung in soziologischer Hinsicht: Ein Staat ist auf eine Vielfalt von Interessen, Parteien (Faktionen) und Sekten angewiesen,
um Minderheiten vor Mehrheiten zu schützen und um die Freiheit und die Rechte der
Bürger zu sichern. Diese Diversität ist eine soziologische Voraussetzung für eine
gerechte Herrschaft. Deshalb lohnt sich die Schaffung einer grossflächigen und bevölkerungsreichen
Union, denn so kann ein Interessenspluralismus hergestellt werden.
Bei einer erblichen oder selbsternannten Monarchie (d.h. einem vom Volk unabhängigen
Staatsorgan) besteht die Gefahr von Parteilichkeit und Willkür in der Form einer Verbindung
zwischen Regierung und einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder einer Diktatur gegen
die Gesellschaft. Diese Gefahr kann durch eine Republik vermieden werden, d.h. durch
möglichst weitgehende Beteiligung der Bürger an der Regierung (9).
Frage
Was versteht Madison im letzten Abschnitt von Nr. 51 unter der „Zivilgesellschaft“?
Vergleichen Sie seinen Begriff mit dem heutigen Sprachgebrauch.
Der letzte Absatz des 51. Artikels ist bemerkenswert. Er spricht im Zusammenhang mit
der gesellschaftlichen Machtteilung von „civil society“ (Zivilgesellschaft). Madison
greift einem Modebegriff der heutigen Zeit vor. Madison ist freilich nicht der erste,
der diesen Begriff einführt. John Locke verwendet ihn ebenfalls (Über die Regierung,
The Second Treatise of Government, übersetzt von Dorothee Tidow, Stuttgart 1974, §§
85, 87, 88, 89, 90, 92, 94, 95, 99, 212; S. 63 ff.). Bei Locke bedeutet die „civil
society“ das Gegenüber zum gewaltenteilig organisierten und freiheitsschützenden Staat.
Lockes Begriff ist also ganz auf der Linie von Madison. James Harrington definiert
Politische Ordnung als die Kunst, durch welche eine zivile Gesellschaft (civil society)
von Menschen errichtet und erhalten wird auf der Grundlage des gemeinsamen Rechtes
oder Nutzens (Oceana, in: Politische Schriften, in der Übersetzung von Dagmar Herwig
und Jürgen Gebhardt herausgegeben und eingeleitet von Jürgen Gebhardt, München: Verlag
Ernst Vogel 1973, S. 54). Dabei handelt es sich nach Madison um die pluralistisch
zusammengesetzte Gesellschaft, in der schon die Vielheit der Interessen und Gruppierungen
die Menschen vor Unterdrückung schützt. Neben dem Leben in staatlichen Gefässen organisieren
sich die Privaten in Clubs, Vereinen, Parteien und Gruppierungen aller Art (Heideking
Jürgen / Vera Nünning (Hrsg.), Einführung in die amerikanische Geschichte, München
1998, S. 27).
Es sind gerade die USA, in denen sich die so verstandene Zivilgesellschaft ausgeprägt
entwickeln würde, wie es Madison geradezu vorausgesehen hatte. Heute wird der Ausdruck
der Zivilgesellschaft oft im Zusammenhang mit der Auflösung des Sozialismus in Osteuropa
gebraucht und als modern und „neu“ angepriesen. Dem ist aber nicht so, wie der Hinweis
auf Madison zeigt. Im heutigen Kontext will die kommunitaristische Bewegung diese
selbstverantwortliche Tätigkeit in den Gruppen, Clubs und Bürgerbewegungen zu neuem
Leben erwecken, um das Gemeinwesen zu entlasten. Es ist kein Zufall, dass diese politische
Bewegung in den Vereinigten Staaten ihren Ausgang nahm, denn sie setzt die von Madison
analysierte gesellschaftliche Gruppenstruktur voraus. (vgl. Andreas Kley, James Madisons
Beitrag in den „Federalist Papers“ zum Interessenpluralismus in der Demokratie, in:
LJZ 2002, 23. Jg., S. 37-45).
Fragen zu Federalist Nr. 78:
Frage
Mit welchen Argumenten begründet Hamilton die Ernennung der Richter zu Lebenszeiten
während guter Amtsführung?
Die Judikative ist die schwächste Gewalt, da ihr weder Zwangsmittel (wie der Exekutive)
noch Geldmittel (wie der Legislative) zustehen und da sie nur reagieren, nicht aber
aktiv Beschlüsse fassen kann. Sie hat allein ihr Urteilsvermögen (2). Die Freiheit
kann höchstens in Einzelfällen, nicht aber generell durch die Judikative gefährdet
werden (3). Von permanent ernannten Richtern ist somit keine Freiheitsbedrohung zu
fürchten.
Lebenslange Amtszeit gewährleistet richterliche Unabhängigkeit von anderen Gewalten
und vom Volk (13, 15). Richterliche Unabhängigkeit ist insbesondere essentiell, da
im Konventsentwurf dem Supreme Court die Kompetenz zugeschrieben wird, Gesetze auf
ihre Verfassungskonformität zu überprüfen, also die Verfassung zu hüten (4 ff.). Zur
Wahrung der Verfassungsrechte, die von momentanen Stimmungen und Demagogie in Legislative
und Volk bedroht sein können, bedarf es der Unabhängigkeit von solchen Stimmungen
(13).
Für die Ausübung des Richteramtes braucht es Fachkompetenzen, insbesondere Kenntnis
von Präzedenzfällen. Zudem müssen Richter integre Persönlichkeiten sein. Die hohen
Anforderungen an die Qualifikation führen dazu, dass nur sehr wenige Personen zur
Ausübung des Richteramtes geeignet sein werden. Durch Ernennung auf Lebzeiten bedarf
es auch weniger Oberste Richter, Erneuerungen sind nur selten (16).
Frage
Wie rechtfertigt Hamilton die Kompetenz der Judikative, Gesetze auf ihre Verfassungskonformität
zu prüfen (judicial review)?
Die Unionsverfassung ist eine „limited Constitution“, eine Verfassung mit eingeschränkter
Regierungsgewalt, d.h. die Legislative ist bei ihrer Gesetzgebung nicht völlig frei,
sondern an Verfassungsgrundsätze („grundlegende Gesetze“) gebunden. Ohne gerichtliche
Überprüfung wären diese Verfassungsgrundsätze wirkungslos (4).
Das richterliche Kontrollrecht führt nicht zu einer Überordnung der rechtsprechenden
über die gesetzgebende Gewalt (5), sondern ist Ausdruck und Konsequenz der Überordnung
des Volkes, der höchsten und ursprünglichen Gewalt im Staat. Denn die Richter verschaffen
der Verfassung, der ursprünglichen Vollmacht des Volkes Nachachtung (6 – 8).
Die Gerichte überschreiten durch die Kontrolle von Gesetzen auf Verfassungsmässigkeit
ihre angestammte Funktion nicht, da sie dabei nichts Weiteres tun als Gesetze zu interpretieren
(Verfassung als grundlegendes Gesetz) (7).
Auf den Kritikpunkt, dass Verfassungsanwendung aufgrund der enormen Ermessensspielräume
unweigerlich von politischer Färbung geprägt ist, antwortet Hamilton in Abs. 11: Ermessenspielräume
sind bei jeder Gesetzesanwendung gegeben. Wollte man richterliche Ermessensausübung
verhindern, müsste man Gerichte abschaffen.
Von gleichrangigen kollidierenden Gesetzen geht das jüngere dem älteren vor (lex posterior
derogat legi anteriori, Abs. 9). Gesetze höheren Ranges gehen jenen niedrigeren Ranges
vor (Abs. 10).
Judicial review ist als präventive Bremse für die Legislative und andere Staatsorgane
zu verstehen, welche die weiteren Gewalten daran hindert, verfassungswidrige, insbesondere
gegen Individualrechte gewisser Minderheiten verstossende Gesetze zu erlassen (14).