17.1.2 Rawls
Fassen Sie die Kernthesen aus John Rawls’ Eine Theorie der Gerechtigkeit zusammen!
Antwort (Klicken Sie hier)
Rawls formuliert eine Theorie der Gerechtigkeit, in der er mittels eines Gedankenexperiments zwei seiner Ansicht nach grundlegende Prinzipien der Gerechtigkeit begründet.
Zunächst geht Rawls von Menschen in einem fiktiven Urzustand (original position) aus. Die risikoscheuen und rationalen Akteure in diesem Urzustand verfolgten zwar eine schwache Theorie des Guten, hätten aber keine Kenntnis ihrer besonderen Eigenschaften sowie ihrer späteren sozialen Stellung. Diese seien nämlich unter einem „Schleier des Nichtwissens“ (veil of ignorance) verborgen. Dieser veil of ignorance ist von zentraler Bedeutung für Rawls’ Gedankenexperiment, da bei der Entwicklung der Gerechtigkeitsprinzipien von den von Geburt an vermittelten Ungleichheiten (natural lottery) abgesehen werden soll. In dem Gedankenexperiment weiss zum Beispiel eine spätere Millionärin ebenso wenig von ihrem Reichtum, ihrer Intelligenz und ihrer Hautfarbe wie ein späterer Obdachloser von seiner Armut, seinem Geschlecht, seiner Körperkraft und seiner sozialen Herkunft.
Gemäss seiner Konzeption der „Gerechtigkeit als Fairness“ geht Rawls davon aus, eine Gerechtigkeitsvorstellung sei „vernünftiger oder eher zu rechtfertigen als eine andere, falls vernünftige Menschen im Urzustand die einen Grundsätze anstelle der anderen als gerecht akzeptieren würden“. (Rawls 2005, S. 35) Es fragt sich nun also, welches die Gerechtigkeitsprinzipien sind, welche die Menschen im Urzustand bei einem hypothetischen Vertragsschluss über die Grundsätze ihrer zukünftigen Gesellschaft annehmen würden.
Nach Untersuchung und Diskussion verschiedener Möglichkeiten formuliert Rawls die zwei Prinzipien, die sich seiner Meinung nach hierzu am ehesten eigneten:
„Erster Grundsatz
Jedermann hat gleiches Recht auf das umfangreichste Gesamtsystem gleicher Grundfreiheiten, das für alle möglich ist.
Zweiter Grundsatz Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten müssen folgendermassen beschaffen sein:
(a) sie müssen […] den am wenigsten Begünstigten den grösstmöglichen Vorteil bringen, und
(b) sie müssen mit Ämtern und Positionen verbunden sein, die allen gemäss fairer Chancengleichheit offenstehen.“ (Rawls 2005, S. 336)
Es bestehe dabei sowohl ein Vorrang des ersten Grundsatzes vor dem zweiten, als auch des zweiten vor Leistungsfähigkeit und Nutzenmaximierung. Zum Beispiel darf eine Verletzung des ersten Prinzips (z.B. Meinungsfreiheit) nicht mit dem zweiten Prinzip (z.B. soziale Erwägungen) gerechtfertigt werden.