4.1.1 Aufstieg des Liberalismus

Anfänge der Restauration unter Ludwig XVIII.

Nach der Abdankung Napoleons am 12. April 1814 besteigt Ludwig XVIII. auf Bitte der beiden Parlamentskammern den Thron Frankreichs. Den alliierten Besiegern Napoleons war klar, dass eine Rückkehr zum Absolutismus unhaltbar sein würde. Aus diesem Grund wurde der Senat mit der Ausarbeitung einer neuen Verfassung beauftragt. Dieser wiederum delegierte das Verfassen eines Entwurfs an eine fünfköpfige Kommission, deren Mitglieder im Empire Napoleons verhalten oppositionelle Positionen eingenommen hatten. Noch am Tag der Absetzung Napoleons hatte die Kommission den Entwurf fertiggestellt, der in der Folge vom Senat angenommen wurde.

Gemäss dem Entwurf sollte dem König allein die exekutive Gewalt zukommen, wobei betont wurde, dass dieser von Volksvertretern freiwillig auf den Thron gerufen worden war. Zur endgültigen Annahme der Verfassung, welche die Rechte der Déclaration von 1789 beinhalten sollte, war eine Volksabstimmung vorgesehen.

Obschon Ludwig XVIII. mit den Grundzügen des Verfassungsprojekts einverstanden war, wies er das Projekt zurück. Stattdessen machte er sich daran, einen neuen Entwurf ausarbeiten zu lassen, und zwar durch eine Kommission, welche er selbst zu ernennen gedachte. Zwar kam es in der politischen Diskussion zwischen Royalisten und Liberalen zu harten Diskussionen, man einigte sich aber, das gescheiterte Projekt des Senats zur Grundlage der neuen Verfassung zu machen, für die man den Namen "Charte" vorsah.

Die Charte Constitutionelle von 1814

Die Charte, wie sie am 4. Juni 1814 angenommen wurde, wich dennoch erheblich vom ursprünglichen Senatsentwurf ab. Sie wurde vom Monarchen oktroyiert, galt also kraft der Machtvollkommenheit der Krone. Dies im Gegensatz zu den Verfassungen im Anschluss zur Revolution, welche durch Plebiszit vom Volk legitimiert worden waren. Die Präambel der Charte zeigt dies ausdrücklich: Sie hält fest, "que l'autorité tout entière résidât en France dans la personne du roi" und erinnert abschliessend daran, wie diese Verfassung zustandegekommen war: "[…]volontairement, et par libre exercice de notre autorité royale[…]".

Insofern knüpft die Charte bewusst an die monarchische Tradition des Ancien Régime an. Deshalb datierte Ludwig die Charte bezeichnenderweise auch mit dem 19. Jahr seiner Regierung – als hätte es Revolution und Empire nie gegeben. Die Epoche, welche mit der Regierungszeit Ludwigs anbrach, wird daher als französische Restauration bezeichnet. Allerdings verfolgte Ludwig nicht etwa kompromisslos die Wiederherstellung des Absolutismus. Die Artikel der Charte nämlich waren ganz in der Linie der vorhergehenden Verfassungen Frankreichs gehalten und sicherten die Errungenschaften der Revolution. Die ersten Artikel der Charte sind unverkennbar an der Déclaration von 1789 orientiert und garantieren Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 1), Besteuerung nach Vermögen (Art. 2), individuelle Freiheit (Art. 4), Religionsfreiheit (Art. 5), Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit (Art. 8) sowie Eigentumsfreiheit (Art. 9).

Ludwigs Politik bestand somit in einer Verbindung zwischen royalistisch-aristokratischen Ansätzen des Ancien Régime und jenen des bürgerlich-liberalen Frankreichs, welches die Revolution hervorgebracht hatte.

Karl X. und die angestrebte Rückkehr zum Absolutismus

Im Jahr 1825 besteigt Karl X. nach dem Tod seines Bruders Ludwig den königlichen Thron. Bereits die prunkvolle Krönungszeremonie in Reims weist hin auf das Selbstverständnis des neuen Monarchen: Karl greift zurück auf die Ideen des Ancien Régime und präsentiert sich als Herrscher von Gottes Gnaden. Diese Haltung behält er – mit Unterstützung der reaktionären Partei der Ultra-Royalisten – in der Regierungspolitik bei.

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger unternimmt er in der Folge dezidiert und kompromisslos den Versuch, den Absolutismus wieder einzuführen. Zu diesem Zweck ignoriert er kurzerhand den gesellschaftlichen Umschwung, welcher infolge der Revolution und der napoleonischen Herrschaft in Frankreich vonstattengegangen war. Karls Vorhaben, die Mentalität des Ancien Régime im Volk wieder aufleben zu lassen, gestaltete sich jedoch problematisch, war diese Haltung doch in der Bevölkerung nicht mehr verbreitet. Vielmehr war zusehends ein Gefühl von Verpflichtung gegenüber den Errungenschaften der Revolution erstarkt.

Insbesondere die zunehmenden Einschränkungen der Pressefreiheit, welche die Ultra-Royalisten unter Karl X. veranlassten, schürten die Neigung, die Ideale von 1789 wieder zu betonen. Die Regierung führte etwa die Möglichkeit ein, ein Verbot von Zeitungen auszusprechen, aufgrund "den König beleidigender Tendenzen". Ein Versuch, eine permanente Zensur einzurichten sowie exorbitante Steuern auf Druckerzeugnisse zu erheben ("droit de timbre"), um Zeitungen zu ruinieren, schlug fehl. Dieser reaktionäre Kurs des ultraroyalistischen Kabinetts unter der Führung von Jean-Baptiste de Villèle äusserte sich nicht zuletzt auch in archaisierenden Tendenzen in der Gesetzgebung. In der "loi sur le sacrilège" war etwa für Hostienfrevel das Abhacken der Hände sowie die anschliessende Exekution als Rechtsfolge vorgesehen. Karl X. und Villèle traten die Charte Constitutionelle von 1814 mit Füssen, was der Regierung viele Feinde einbrachte, welche nicht zuletzt aus eigenen Reihen kamen: Der unehrenhaft entlassene Aussenminister Chateaubriand bildete nach Abspaltung von den Ultra-Royalisten mit der sogenannten "contre-opposition de droite" eine weitere Gruppe Oppositioneller nebst den Liberalen und dem Zentrum.

Die Zirkulation von politischen Broschüren erlebte in der Restauration eine Blütezeit, da dieses Medium nicht der Pressezensur unterstand. Die Restauration wird somit aufgrund der zunehmenden Aushöhlung von Grundrechten zum fruchtbaren Boden für neues intellektuelles Leben und insbesondere liberales Gedankengut. Die Fundamente des Liberalismus als philosophische Tradition waren zwar schon lange zuvor gelegt worden (insbesondere bei John Locke), doch konnte diese Ideologie sich nun effektiv verbreiten als Antwort auf die repressive Politik der Ultra-Royalisten.

Den Ultra-Royalisten drohte bald der Mehrheitsverlust in der Deputiertenkammer, was diese 1827 mit Neuwahlen zu verhindern versuchten. Dieses Unterfangen scheiterte kläglich: Karl X. und Villèle hatten sich arg verrechnet und die Liberalen errangen die Mehrheit. Es war insbesondere der Einsatz der neu gebildeten "Société des amis de la liberté de la presse" (Mitglied war u.a. Chateubriand, aber auch viele bekannte Linksliberale) und der liberalen Gesellschaft "Aide-toi le ciel t'aidera", welche Villèles Lager eine solch herbe Niederlage verpasste, dass dieser umgehend zurücktrat.

Durch diesen Erfolg sah sich die parlamentarisch gestärkte Linke zu kühneren Forderungen berechtigt: Insbesondere versuchten sie auf dem Wege der Gesetzgebung, die Selbstverwaltung sowohl auf Ebene der Gemeinden wie auch auf Ebene der Departements zu etablieren als Gegengewicht zu den nach wie vor reaktionären Präfekturen.

Karl liess beide Gesetze am 8. April 1829 zurückziehen – die für das System der Restauration so vitale Zusammenarbeit zwischen Regierung und Kammermehrheit fror ein. Am Hof des Königs wurde daher zunehmend die Option in Betracht gezogen, unter Rückgriff auf Art. 14 der Charte Constitutionelle von 1814 eine königliche "Diktatur" zu etablieren, um die Unabhängigkeit der Regierung vom Parlament zu gewährleisten.

Art. 14: Der König ist höchstes Oberhaupt des Staates; er befehligt die Land- und Seemacht, erklärt Krieg, schließt Friedens-, Allianz- und Handelstraktate, ernennt zu allen Stellen der öffentlichen Verwaltung, und erläßt die zur Vollziehung der Gesetze und zur Sicherheit des Staates nötigen Verfügungen und Verordnungen.

Benjamin Constant, Führer der Liberalen, wies sobald auf die Gefahr eines Verfassungsbruchs durch die Krone hin.

Als im selben Jahr Villèles liberaler Nachfolger als Premierministers zurücktrat, umging Karl die parlamentarische Praxis und setzte wiederum einen Ultra-Royalisten ein – ohne Rücksicht auf die Mehrheitsverhältnisse. Der Kampf um Vorrang von Vorrechten des Königs gegenüber jenen des Parlaments spitzte sich zu. Als Karl abermals die Deputiertenkammer auflöste und Neuwahlen ansetzte, errang die liberale Opposition 140 Sitze gegenüber 50 royalistischen Mandaten. Der König entschied auf Grundlage seiner Prärogativen kurzerhand, dass die Mehrheit der Ultra-Royalisten im Amt bleiben sollte. Diese Konstellation suchte Karl X. nun zu konsolidieren mit dem Erlass der Ordonnances de Saint-Cloud ("Juliordonnanzen") am 25. Juli 1830. Der von Constant prophezeite Verfassungsbruch war somit Realität geworden.

Juliordonnanzen und Julirevolution

Die vier Juliordonnanzen wurden am 26. Juli mit folgendem Inhalt veröffentlicht: Der erste Erlass schuf die Pressefreiheit endgültig ab unter dem Vorwand, die Pressefreiheit sei ein unruhestiftendes Instrument der Volksverhetzung. Mit der zweiten Ordonnanz wurde abermals die Deputiertenkammer aufgehoben. Um die Konsolidierung der Position der Ultra-Royalisten zu gewährleisten, wurde der Wahlzensus im dritten Erlass drastisch angehoben. Neuwahlen, deren Datum in der vierten Ordonnanz festgehalten wurde, sollten so zugunsten der Krone ausfallen.

Noch am Tag der Veröffentlichung im Amtsblatt ("Moniteur") widersetzte sich eine Gruppe von Journalisten den Ordonnanzen, indem sie eine Protesterklärung unterzeichnete, die am folgenden Tag in 11 Zeitungen abgedruckt wird. Dazu lieferten sie folgende Begründung: "Cependant le Moniteur a publié enfin ces mémorables ordonnances, qui sont la plus éclatante violation des lois. Le régime légal est donc interrompu; celui de la force est commencé. Dans la situation où nous sommes placés, l’obéissance cesse d’être un devoir".

Bezeichnenderweise hallt in dieser Rechtfertigung ein zentrales Motiv der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung nach, nämlich, dass es keine Gehorsamspflicht gegenüber despotischer Herrschaft geben kann. Vgl etwa den letzten Satz der Unabhängigkeitserklärung: "But when a long train of abuses and usurpations, pursuing invariably the same Object evinces a design to reduce them under absolute Despotism, it is their right, it is their duty, to throw off such Government, and to provide new Guards for their future security."

Der Verfassungskonflikt eskalierte, als sich zu den Protesten der Journalisten und liberalen Abgeordneten die Frustration der Arbeiter und Handwerker, welche unter der Wirtschaftskrise der 1820er litten, hinzugesellte. Am 28. Juli kam es zu Strassenschlachten zwischen der revolutionären Bevölkerung und den königlichen Truppen, welche am 29. Juli für die Aufständischen siegreich endeten. Die drei Tage der Julirevolution vom 27-29. Juli gehen in der Folge als "Les Trois Glorieuses" in die französischen Geschichtsbücher ein. Am 2. August 1830 erfolgt die Abdankung Karls X.

Julimonarchie und neue Charte Constitutionelle

Aus Angst vor einer erneuten "Grande Terreur" sah man von der Errichtung einer Republik zugunsten einer konstitutionellen Monarchie ab. Als Monarchen sah man Louis-Philippe, Herzog von Orléans vor, der als ehemaliger Kämpfer in den Revolutionsarmeen beim Volk beliebt war.

Man einigte sich, die Charte von 1814 als Grundlage für ein neues Verfassungsdokument zu nehmen, unter der Vornahme liberaler Änderungen. Bezeichnenderweise bestimmten die Abgeordneten, dass Louis-Philippe erst dann als König zu proklamieren sei, wenn dieser die neue Verfassung akzeptiert haben sollte. Der neue Monarch erhielt seine Krone somit nicht kraft Gottes Gnaden, sondern gestützt auf den Volkswillen. Um den Unterschied zu seinen Vorgängern Ludwig XVIII. und Karl X. zu betonen, nannte er sich denn auch Louis-Philippe Ier, und nicht Philippe VII., was in der Kontinuität der alten Monarchie zu erwarten gewesen wäre.

Die neue Charte Constitutionelle wurde am 14. August 1830 in Kraft gesetzt. Oberflächlich gesehen stellte diese eine über weite Strecken fast wörtliche Kopie des Vorgängerdokuments dar. Der Historiker Maurice Duverger bemerkte daher etwa, dass 1830 vielmehr ein Wechsel der Dynastie als ein Wechsel des Regimes vollzogen worden war, da nur im Detail Verfassungsänderungen vorgenommen worden waren.

Dieser Ansicht kann man aber entgegenhalten, dass auch gerade diese kleinfügigen Änderungen letzten Endes der Charte doch eine dezidiert neue Ausrichtung verliehen.

Die Präambel von 1814, welche die Charte darstellte als vom König oktroyiertes Dokument kraft seiner gottgegebenen Stellung, wurde komplett gestrichen. Die somit vollzogene "Reaktivierung" der Volkssouveränität zeigte sich auch in der Einschränkung von Exekutivkompetenzen zugunsten des Parlaments: Neu kam der Deputiertenkammer neben dem König ebenfalls das Recht zur Gesetzesinitiative zu (vgl. jeweils Art. 16 der Charte von 1814 bzw. 1830).

Die Änderungen der Charte im Sinne der liberalen Bewegung sind, was kaum überrascht, allesamt direkte Reaktionen auf die Politik Karls X. So wurde der Notstandsartikel (Art. 14), welcher Karl als Grundlage des Erlassen der Juliordonnanzen gedient hatte, folgender Änderung unterzogen: Ermächtigte die alte Fassung den Monarchen noch zum Erlass der "nötigen Verordnungen" zur "Sicherheit des Staates", wurde indessen diese Ermächtigung in der Version von 1830 gestrichen. Stattdessen hielt der revidierte Art. 14 fest, dass der König die zur Vollziehung der Gesetze nötigen Reglemente und Ordonnanzen erlässt, und zwar ohne jemals die Gesetze selbst zu suspendieren oder von ihrer Vollziehung dispensieren zu können. Art. 8 wurde dahingehend geändert, dass er nebst der Meinungsäusserungsfreiheit neu ein absolutes Zensurverbot enthielt. Der Konnex dieser Änderung zur Regentschaft Karls ist ebenfalls evident.

Es ist somit naheliegend, dass der Versuch Karls X., die absolute Monarchie wieder einzuführen, als Katalysator wirkte für den Aufstieg und die schlussendliche Behauptung des Liberalismus in Frankreich. In der Folge werden am Beispiel der Schriften Benjamin Constants, Führungsfigur der liberalen Partei während der Restauration, die Hauptanliegen dieser Bewegung dargestellt.

Liberalismus am Beispiel des Werks Benjamin Constants

Der in Lausanne geborene Benjamin Constant wurde im Nachgang zur Terreur zum Verfechter des bikameralen Parlamentarismus nach britischem Vorbild, welcher in der Verfassung von 1795 umgesetzt wurde. Ab der Machtergreifung Napoleons war Constant Mitglied des Tribunats, wurde aber 1802 wieder abgesetzt und verliess das Land. Er kehrte 1814 zurück und setzte sich im Conseil d'Etat unter Ludwig XVIII. für die Errichtung einer konstitutionellen Monarchie ein. Während Napoleons erneuter Machtübernahme (sog. "Herrschaft der hundert Tage") floh Constant in die Vendée, kehrte aber auf wiederholte Einladung nach Paris zurück, um 1815 die Zusatzartikel zu den Empire-Verfassungen zu entwerfen. Ab 1817 sass er in der Deputiertenkammer als Führer der Liberalen. Benjamin Constant galt seinerzeit als einer der eloquentesten Redner im Parlament.

Der Liberalismus nach Constant war im Kern die Anpassung der liberalen Tradition Grossbritanniens (seit der Glorious Revolution, VGN, S. 54 ff.) an die kontinentaleuropäische Situation des frühen 19. Jh., gezeichnet von der Erfahrung der Revolution und insbesondere der "Grande Terreur".

Zentral war dieser Ansicht insbesondere das Postulat der persönlichen Unabhängigkeit, welche der Pflicht zur politischen Teilhabe voraus geht (Constant, Werke, S. 383). Dies stellt einen diametralen Gegensatz zum Republikanismus dar, wie er in den jungen USA vorherrschend war. Dieses Postulat begründete Constant damit, dass die aktive politische Teilhabe dem antiken Verständnis von Freiheit zuzuordnen ist. Dieses "Opfer" entspreche nicht der Freiheit im "modernen Sinn", weshalb ein solches "sinnlos zu fordern und unmöglich zu erlangen" sei (ebd., S. 325). Anwendung findet das Prinzip der persönlichen Unabhängigkeit nicht zuletzt auch in der Forderung nach unabhängigen Richtern (ebd., S. 230 ff.). Eine allfällige Wiedereinführung des Absolutismus wäre nach Constant unmöglich mit diesem Freiheitsbegriff zu vereinbaren, denn: "Wer sagt, er wolle den Absolutismus, sagt damit entweder, dass er unterdrückt werden oder dass er selber Unterdrücker sein will" (ebd., S. 576). Als weiteres Argument für persönliche Unabhängigkeit führt Constant etwa die Zerstörung der Privatsphäre durch Robespierres Terrorregime an (ebd., S. 344).

Der grösste Feind dieser Freiheit ist nach Constant die Willkür (ebd., S. 196), wobei der Notstand keine Ausrede sein dürfe (ebd., S. 386). Gegen solche Übergriffe sei die individuelle Freiheit durch eine Verfassung, insbesondere durch negative Abwehrrechte, zu schützen (ebd., S. 198 f.). Auch diese Ansicht ist klar Ausfluss der Terreur-Erfahrung und erklärt Constants heftige Opposition gegenüber der Aushöhlung von Grundrechten durch Karl X.

Trotz dieses Einsatzes für Freiheit und Grundrechte hielt sich Constant gerade mit Forderungen nach Gleichheit zurück. Die "natürliche Ungleichheit" betrachtete er aus folgenden Gründen als positiv: "Man wahre zwischen den Menschen den Abstand, der durch ihre Fähigkeiten, Talente, ihre Tüchtigkeit gegeben ist. Ein solcher Abstand erregt kein Ärgernis, da stets die Möglichkeit zu bestehen scheint, ihn zu überwinden".

Wie das eben genannte Zitat, das ein Votum für freien Wettbewerb enthält, sind viele Aspekte von Constants politischer Philosophie getragen von Überlegungen ökonomischer Natur. Viele seiner Anliegen würden heute noch im politischen Diskurs als "liberal" bezeichnet. Folgende Beispiele zeigen denn auch, wie modern Constants Sicht auf die Wirtschaft ist:

So betont Constant die zentrale Rolle des Privateigentums, wenn auch zugegebenermassen nicht aus der marktwirtschaftlichen Optik, sondern als "Voraussetzung des Fortschrittes" (ebd., S. 171). "Wer etwas hat", so Constant, "hat auch etwas zu verlieren", weshalb das Privateigentum den Menschen gerechter mache (ebd., S. 171).

Damit in Verbindung steht Constants Haltung, dass Steuern mit Diebstahl gleichzusetzen seien: "Um die einen zu bereichern, muss man die anderen ärmer machen. Um neue Besitzende zu schaffen, muss man die alten ihres Besitzes rauben" (ebd., S. 312).

Den Handel betrachtete Constant als Quelle des Wohlstands. Handel mache es "viel leichter, der Willkür zu begegnen, weil er die Natur des Eigentums in einer Weise verwandelt hat, durch die es fast unangreifbar wird" (ebd., S. 394). Somit habe der Handel eine friedensstiftende Wirkung (ebd., S. 244). Staatliche Eingriffe in wirtschaftliche Tätigkeit bezeichnet Constant deshalb als unerwünscht (ebd., S. 374).

Diese Beispiele zeigen eindrücklich, wie zukunftsweisend Constants politische Philosophie in der Restauration war. Es ist daher im Rückblick nicht verwunderlich, dass seine Partei solch grossen Anklang fand und diese Postulate in der Folge weitreichenden Einfluss haben sollten – nicht zuletzt in der Schweiz.