4.1.5 Eid und Eidgenossenschaften

Eid und Schwureinungen

Der Eid als ritualisierte Form, das gesprochene Wort als verlässliches zu garantieren, spielt im sozialen Leben nahezu aller Gesellschaften eine Rolle, so dass bisweilen auch von einem ethnologischen Urphänomen gesprochen wird. Eine besonders grosse Bedeutung kommt ihm jedoch im germanisch-deutschen Recht des Mittelalters zu.

Als Wahrheitsbeteuerung (assertorischer Eid) im Gerichtsverfahren kann er durch eine oder mehrere Personen (Eidhelfer) geleistet werden. Wichtiger im vorliegenden Zusammenhang ist der Treueschwur, der Eid als Begründung eines Versprechens oder Rechtsverhältnisses (promissorischer Eid). Auf einer privaten Ebene diente er u.a. dazu, ein einseitiges Schuldversprechen oder eine Streitbeendigung (Urfehde) zu bekräftigen, oder aber wie bei den Zünften und Gilden der gemeinschaftlichen Unterstützung in Not und der Verfolgung gemeinsamer merkantiler Ziele. Eine besondere Bedeutung erlangte der politische Eid. Hier war es das Moment der persönlichen Treuebindung durch Eid, das auf Vasallen- und Untertanenverhältnisse mittels Eid angewendet wurde. Auf diese Weise wurde der Eid im Mittelalter zur Grundlage verpflichtender Bindung im weltlichen und kirchlichen Leben. Die Landfrieden basierten ebenso auf Eid wie die zum Teil auf Schwur der Einwohner beruhenden bürgerlichen Stadtverfassungen.

Durch den Schwur wurden die gemeinsam Schwörenden zu einer coniuratio (Zusammenschwörung), zu einer Schwurgemeinschaft oder gemäss der älteren Rechtssprache zu einer „Eidgenossenschaft“, die immer auch eine Interessengemeinschaft bildete. Diese konnte kurzfristiger Natur sein und in der Durchsetzung eines gemeinsamen Ziels bestehen. Ein längerfristig angelegter Schwurverband, der Friedens- und Rechtsinteressen verfolgte, war in der Regel mit eigenen Institutionen verbunden. Zentrale Inhalte waren immer Friede und Freiheit. Ein wesentliches Merkmal war die Gleichstellung der Schwurgenossen.

Die herrschende Schicht, die auf hierarchische Verhältnisse pochte, setzte deshalb die coniuratio oft mit der conspiratio, der Verschwörung, gleich und verbot sie wiederholt, etwa in den karolingischen Kapitularen oder in den Reichsgesetzen der Staufer. In der Tat diente die coniuratio den Stadtgemeinden denn auch dazu, sich dem Rechtskreis der Herrschaft zu entziehen und den Frieden genossenschaftlich zu sichern.

Die Bedeutung der coniuratio für die Stadt ist umstritten und zeigt sich im europäischen Raum in unterschiedlicher Ausprägung. Während etwa in Flandern Stadtgemeinden seit dem 12. Jahrhundert durch coniuratio konstituiert wurden, aber keine eidgenossenschaftliche Verfassung aufwiesen, finden sich in Frankreich zahlreiche eidgenossenschaftliche Gemeinden. In Deutschland hingegen sind nur wenige Städte durch coniuratio gesichert und dies vor allem im Süddeutschen Raum. Am erfolgreichsten war das Modell in den oberitalienischen Städten. Eidgenossenschaftliche Komponenten weisen auch die Städtebünde auf, die den Bürgern verbündeter Städte das gegenseitige volle Recht als Mitbürger zuerkannten. Insbesondere aber in den spätmittelalterlichen bäuerlichen Landfriedensbünden, die seit dem 13. Jahrhundert in den Berggebieten, in den Pyrenäen und in Friesland geschlossen wurden, war das eidgenossenschaftliche Moment ausgeprägt.

Sonderfall Schweizerische Eidgenossenschaft

Territoriale Entwicklung der Eidgenossenschaft. (Quelle: wikipedia, Marco Zanoli)Territoriale Entwicklung der Eidgenossenschaft. (Quelle: wikipedia, Marco Zanoli)

Die in der Schweiz seit dem 19. Jahrhundert einsetzende Deutung konzentrierte sich auf den Bundesbrief von 1291 als Gründungsurkunde der Schweiz.

Der Bundesbrief von 1291. (Quelle: Wikimedia Commons)Der Bundesbrief von 1291. (Quelle: Wikimedia Commons)

Dabei wurde allerdings der Umstand ausgeblendet, dass einerseits mit diesem Bündnis lediglich eines von zahlreichen weiteren im Gebiet der heutigen Schweiz belegt ist, so dass korrekterweise von Bündnissystemen gesprochen werden muss, und dass andererseits zunächst der Friede, gemäss der Intention aller Landfrieden, im Vordergrund stand und die Autonomie erst später angestrebt wurde.

1291 termerneuerten die bäuerlichen Talgemeinden Uri, Schwyz und Unterwalden ihren Landfriedensbund, der sie zu gegenseitiger Hilfeleistung verpflichtete, in erster Linie aber gegen die Fehde innerschweizerischer Familienverbände gerichtet war, wie die Regelungen zur Rechtspflege und Richterbestellung belegen. Vergleichbare Bündnisse bestanden auch in anderen Regionen oder zwischen Städten der Schweiz.

Das Bündnis der Waldstätte von 1291 wurde nach der Schlacht bei Morgarten und dem Sieg über die Habsburger 1315 erneuert. Es wurde in der Absichtserklärung dahingehend erweitert, dass sich die drei Orte verpflichteten, äussere Allianzen nur nach vorgängiger Absprache einzugehen. Nicht mehr nur der Friede, sondern auch das Verhältnis zu anderen Mächten war damit geregelt und ein Schritt Richtung Autonomie getan.

Der Sieg von Morgarten hatte das militärische Ansehen der sogenannten Hirtenkrieger begründet und machte die Waldstätte zu attraktiven Bündnispartnern. In rascher Folge gingen die Orte Luzern (1332), Zürich (1351), Glarus (1352), Zug (1352) und Bern (1353) Bündnisse ein. Auch diese achtörtige Eidgenossenschaft, die aus Städten und Talschaften bestand, diente der Friedenssicherung und der gegenseitigen Hilfe. Jeder Ort wurde als souveräne Republik gesehen, das gemeinschaftliche Gebilde hingegen wurde bereits damals als confoederatio, seine Einwohner als confoederati bezeichnet. Im Pfaffenbrief von 1370 bezeichneten die Bündnispartner ihr Gebiet erstmals als «unser Eydgnoschaft». Der Bund wurde hier ebenso territorial aufgefasst wie die Gerichtshoheit, womit sich eine territoriale Rechtsauffassung andeutet.

Enger wurde das Bündnisgeflecht im 14. Jahrhundert durch die Spannungen mit dem Haus Habsburg im Zusammenhang mit dem deutschen Städtekrieg. Während die deutschen Städte dem Adel unterlagen, siegten die Eidgenossen in der Schlacht von Sempach über die Habsburger.

Schlacht bei Sempach (1386). (Quelle: Wikimedia Commons)Schlacht bei Sempach (1386). (Quelle: Wikimedia Commons)

Der Sempacherbrief von 1393, der das Bündnis erneut festigte, war im Kern eine Kriegsordnung für die Verbündeten. In der Folge betrieben die Bündnispartner eine Politik der Expansion und erweiterten ihr Territorium um Untertanengebiete, Teile des Tessins (1403–1422) und den Aargau (1415).

Um das Erbe der Grafen von Toggenburg kam es zwischen Zürich und Schwyz zum Krieg. In diesem sogenannten alten Zürichkrieg oder Toggenburger Erbschaftskrieg nahmen die anderen Eidgenossen Partei für Schwyz und gegen Zürich, das sich der militärischen Unterstützung der Habsburger versichert hatte.

Alter Zürichkrieg (1440-1446). (Quelle: Wikimedia Commons)Alter Zürichkrieg (1440-1446). (Quelle: Wikimedia Commons)

Das Heer der Eidgenossen wurde zwar in der Schlacht von Sankt Jakob an der Birs (1444) vom zahlmässig massiv überlegenen Heer der Armagnaken, einer Söldnerkompagnie, die für die Habsburger kämpfte, geschlagen, doch leiteten die Habsburger Friedensverhandlungen ein, und Zürich nahm schliesslich wieder seine frühere Rolle im Bund der Eidgenossen ein.

Wie komplex der Zusammenschluss der unterschiedlichen Bündnispartner war, zeigte sich nach den Siegen der Eidgenossen über Karl den Kühnen von Burgund (1433–1477) in der Schlacht von Grandson, Murten und Nancy. 1477 zogen Urner, Schwyzer, Unterwalder und Zuger im sogenannten termSaubannerzug Richtung Genf, das damals noch zu Burgund gehörte, um die im Anschluss an die Burgunderkriege versprochenen Gelder einzutreiben.

Karl der Kühne. (Quelle: Wikimedia Commons)Karl der Kühne. (Quelle: Wikimedia Commons)

Schlacht bei Grandson (1476). (Quelle: Wikimedia Commons)Schlacht bei Grandson (1476). (Quelle: Wikimedia Commons)

Der Saubannerzug (1477). (Quelle: Wikimedia Commons)Der Saubannerzug (1477). (Quelle: Wikimedia Commons)

Die Aggressionen der termFreischärler richteten sich auch gegen die Obrigkeiten der Städte, die sich in ihren Augen bei der Beuteverteilung bereichert hatten. Zwar gelang es den Obrigkeiten, den Zug zu stoppen und die Situation mittels Geldzahlungen zu entschärfen, doch die Panik, mit der die Städte ihre Tore geschlossen hatten, mündete in verschiedene Zusamenschlüsse der Städte: etwa Genf, Bern und Freiburg i.Ü. oder Zürich, Bern, Luzern, Solothurn und Freiburg i.Ü. Gegen diese sich formierende städtische Übermacht opponierten die Länderorte vehement.

Ein kriegerischer Konflikt zwischen den Städte- und Länderorten wurde durch das Stanser Verkomnis von 1481 verhindert.

Vor der Tagsatzung in Stans 1481 (unten) wurde der Rat von Bruder Klaus eingeholt (oben). (Quelle: Wikimedia Commons)Vor der Tagsatzung in Stans 1481 (unten) wurde der Rat von Bruder Klaus eingeholt (oben). (Quelle: Wikimedia Commons)

Zum einen wurden der Pfaffenbrief und der Sempacherbrief bestätigt. Zum andern wurden mutwillige Gewaltakte und Versammlungen ohne Einwilligung der Obrigkeiten wie in allen umliegenden Fürstentümern verboten und die gegenseitige Hilfe erneut betont. Nicht zuletzt wurden aufgrund der Erfahrungen nach dem Burgunderkrieg Regelungen für die Teilung von Kriegsbeute formuliert: Alle am Krieg beteiligten Orte sollten künftig gleiche Anteile an Gebieten und Herrschaftsrechten erhalten, und die Beute sollte proportional zur Truppengrösse verteilt werden. Ausserdem mussten die Städte ihre Burgrechtsverträge auflösen.

Nachdem sich die eidgenössischen Städte – mit Ausnahme Basels – geweigert hatten, die anlässlich der Reichsreform beschlossenen Reichssteuer zu bezahlen, fanden 1499 die letzten kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem Deutschen Reich statt.

Schwabenkrieg, Schlacht am Bruderholz (1499). (Quelle: Wikimedia Commons)Schwabenkrieg, Schlacht am Bruderholz (1499). (Quelle: Wikimedia Commons)

Im sogenannten Schwabenkrieg, in Deutschland als Schweizerkrieg bezeichnet, siegten die Eidgenossen. In der Folge wurden sie von den Beschlüssen, die auf dem Reichstag zu Worms (1495) festgehalten worden waren, befreit. Dies kam jedoch keiner Loslösung vom Deutschen Reich gleich. Souveränität erlangte die Eidgenossenschaft erst im Westfälischen Frieden 1648.