17.1.4 Anspruchsgruppen

Die primären Anspruchsgruppen, denen mit Hilfe des Rechnungswesens Rechenschaft abgelegt werden, sind

  1. die Eigentümer,
  2. die Gläubiger,
  3. potentielle Investoren und potentielle Gläubiger sowie
  4. die Arbeitnehmer.

Die Rechnungslegung will die Informationsasymmetrie zwischen Anspruchsgruppen, die nur beschränkt Einblick in ein Unternehmen haben, und den „Insidern“ beseitigen, indem sie Ersteren Informationen aus dem Unternehmen verständlich vermittelt.

Jede Anspruchsgruppe bedarf bestimmter Informationen, um ihre Entscheidungen treffen zu können, z.B. Informationen über die Ertragslage für Investitionsentscheide oder Angaben über die Kapitalbasis für Kreditentscheide. Je nachdem welche Informationen ermittelt und wie diese dargestellt werden, dient die Rechnungslegung stärker den Interessen einer bestimmten Anspruchsgruppe. Die einzelnen Rechnungslegungsregimes mussten deshalb eine Wertung vornehmen, wessen Interessen sie in den Vordergrund stellen wollen:

  1. Die kontinentaleuropäischen Rechnungslegungsregimes sind stärker auf Kreditentscheide ausgerichtet, vor allem wegen der traditionell grossen Bedeutung der Fremdkapitalfinanzierung durch Banken. Dies führte zum Vorsichtsprinzip (vgl. Kapitel 17.1.6).

Hinweis

  1. Die angelsächsisch geprägten Regimes sind demgegenüber mehr auf Investitionsentscheide ausgerichtet, vor allem wegen der traditionell grossen Bedeutung der Eigenkapitalfinanzierung an der Börse. Ergebnis ist der „true and fair view“-Ansatz oder die „fair presentation“. Auch wenn durch die neuste Revision des Rechnungslegungsrechts gewisse Annäherungen an dieses Prinzip stattgefunden haben (siehe insbesondere Art. 960 Abs. 2 OR 2. Halbsatz), sieht das OR weiterhin keine „true and fair view“-Bilanzierung vor. Dies kommt beispielsweise dadurch zum Ausdruck, dass die Bildung stiller Reserven weiterhin in erheblichem Umfang zulässig ist.

Hinweis

Das Rechnungswesen muss nicht nur über die Vergangenheit Auskunft geben (retrospektiv), sondern soll auch Aussagen über die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft zulassen (prospektiv).

Hinweis