2.8.6 Sachgewährleistung

Die Verkäuferin hat nach Art. 197 ff. OR gegenüber dem Käufer unabhängig von ihrem Verschulden sowohl für das Fehlen termzugesicherter Eigenschaften als auch für das Vorhandensein von Mängeln einzustehen, die den Wert der Kaufsache oder ihre Tauglichkeit zum vorausgesetzten Gebrauch aufheben oder erheblich mindern.

Beim Gattungskauf ist es bisweilen schwierig zu entscheiden, ob ein Sachmangel vorliegt, für welchen die Verkäuferin einzustehen hat, oder ob es sich um Verzug handelt. Liefert die Verkäuferin anstelle der geschuldeten Ware ein sog. aliud, kommen die Verzugsregeln zur Anwendung. Erhält der Käufer hingegen eine Sache, welche zwar der entsprechenden Gattung angehört, aber nicht der vereinbarten bzw. gesetzlich (vgl. Art. 71 Abs. 2 OR) vorgesehenen Qualität entspricht, handelt es sich um ein sog. peius, was die Sachgewährleistungspflicht der Verkäuferin auslöst. Beispiel für ein peius: Lieferung eines Pullovers mit Mottenlöchern; Beispiel für ein aliud: Zustellung von Äpfeln statt Tomaten (vgl. BGE 121 III 453). Beim Stückkauf spielt die Unterscheidung aliud/peius keine Rolle, da entweder das von den Parteien bestimmte spezifische Stück geleistet wird oder nicht. Beim Forderungskauf verdrängen Art. 171 ff. OR die Bestimmungen von Art. 197 ff. OR. Der vorausgesetzte Gebrauch richtet sich nach dem übereinstimmenden Parteiwillen oder - mangels Abrede - nach der Verkehrsauffassung; massgebend ist die Verwendung, für welche die Sache tauglich sein soll. Zur Beurteilung der Erheblichkeit sind Einzelfallumstände wie der Vertragszweck zu beachten. Erheblichkeit liegt insbesondere dann vor, wenn der Käufer den Vertrag bei Kenntnis des Mangels nicht oder nicht zu diesen Bedingungen geschlossen hätte.

Für die erfolgreiche Geltendmachung der Sachgewährleistungsansprüche bedarf es folgender Voraussetzungen:

  • Vorliegen eines Sachmangels (Art. 197 OR):
    • Ein Mangel liegt vor, wenn die Ist- von der Sollbeschaffenheit (vertraglich geschuldeten Beschaffenheit) abweicht:
      • Kaufgegenstand weist nicht die zugesicherten Eigenschaften auf;
      • Wert der Kaufsache oder Tauglichkeit zum vorausgesetzten Gebrauch ist aufgehoben oder erheblich vermindert:
        • Körperlicher Mangel (z.B. Gerät funktioniert nicht);
        • Rechtlicher Mangel (z.B. Gerät genügt gesetzlichen Normen nicht).
  • Sachmangel bestand (mindestens im Keim) bereits im Zeitpunkt des Gefahrenübergangs.
  • Unkenntnis der Mängel auf Seiten des Käufers (vgl. Art. 200 OR).
  • Der Käufer hat die Sache unverzüglich geprüft und rechtzeitig Mangelrüge erhoben (Art. 201 OR).
    • Prüfobliegenheit:
      • Sobald nach dem üblichen Geschäftsgang tunlich (z.B. bei Esswaren anderer Zeitpunk als bei Skiern);
      • Stichproben genügen grundsätzlich.
    • Rügeobliegenheit:
      • Käufer muss den Mangel konkret bezeichnen und sofort anzeigen.
    • Verletzung der Prüf- oder Rügeobliegenheit führt zu einer gesetzlichen Genehmigungsfiktion (vgl. Art. 201 Abs. 2 und 3 OR). Mängel, die bei übungsgemässer Untersuchung nicht erkennbar waren (sog. versteckte oder geheime Mängel), sind von der Genehmigung ausgeschlossen, müssen aber sofort nach ihrer Entdeckung gerügt werden. Andernfalls gelten auch sie als genehmigt (Art. 201 Abs. 2 und 3 OR). Bei einer absichtlichen Täuschung tritt gemäss Art. 203 OR keine Genehmigungsfiktion ein.
  • Wahrung der Fristen nach Art. 210 OR bzw. Art. 219 Abs. 3 OR:
    • Für Mängel, die nach zwei bzw. fünf Jahren zum Vorschein kommen, hat die Verkäuferin grundsätzlich nicht mehr einzustehen (Verwirkungsfrist).
  • Keine Haftungsbeschränkung nach Art. 199 OR:
    • Wurde die Gewährleistung wegbedungen, bezieht sich dies auch auf konkurrierende Rechtsbehelfe;
    • Beschränkung/Aufhebung der Gewährleistungspflicht ist ungültig, wenn der Mangel arglistig verschwiegen wurde (Art. 199 OR). (Verhältnis zu Art. 100 OR ist strittig).
    • Eine allgemein gehaltene Haftungsbeschränkung bzw. Freizeichnungsklausel hat aber keine Auswirkungen auf die Haftung der Verkäuferin für spezifische zugesicherte Eigenschaften; BGE 109 II 24 E. 4.
    • Es ist umstritten, ob Art. 199 OR eine lex specialis zu Art. 100 OR darstellt, oder ob - nach Auffassung der Mehrheit der Lehre - beide Normen nebeneinander anwendbar sind

Sind die Voraussetzungen der Sachgewährleistung erfüllt, stehen dem Käufer folgende Sachgewährleistungsansprüche zur Verfügung:

Der Käufer kann grundsätzlich frei wählen zwischen Wandlung, Minderung oder - bei Gattungskäufen - der Ersatzlieferung (Art. 205 Abs. 1 OR und Art. 206 Abs. 1 OR; betreffend Einschränkungen der Wahlfreiheit vgl. Art. 205 Abs. 2 und 3 OR sowie Art. 207 Abs. 3 OR). Das Wahlrecht ist ein Gestaltungsrecht; strittig ist, ob der Käufer nach dessen Ausübung an seine Wahl gebunden ist, oder ob er darauf zurückkommen und einen anderen Rechtsbehelf wählen kann (sog. ius variandi).

  • Wandlung nach Art. 205 ff. OR:
    • Liegt ein Gewährleistungsfall vor, darf grundsätzlich immer gewandelt werden (Art. 205 Abs. 1 OR). Dies gilt selbst dann, wenn der mangelhafte Kaufgegenstand zufällig untergeht (Art. 207 Abs. 1 OR). De facto fällt in diesem Fall die Preisgefahr zurück auf die Verkäuferin.
      • Ausnahmen:
        • Gericht kann nach Interessenabwägung Minderung anordnen (Art. 205 Abs. 2 OR).
        • Ist Sache durch Verschulden des Käufers untergegangen, von diesem umgestaltet oder weiterveräussert worden, steht gemäss Art. 207 Abs. 3 OR nur die Minderung zur Verfügung.
        • Eine weitere Einschränkung ist in Art. 209 Abs. 1 OR vorgesehen.
    • Wandlung führt zur Vertragsaufhebung (vgl. Art. 205 Abs. 1 OR). Ziel der Wandlung ist es, den Zustand vor Vertragsschluss Zug um Zug wiederherzustellen (vgl. Art. 208 Abs. 1 OR). Nach unserem Dafürhalten handelt es sich dabei um ein vertragliches Rückabwicklungsverhältnis.
    • Neben dem Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises, hat der Käufer bei der Wandlung einen Schadenersatzanspruch (Art. 208 Abs. 2 und 3 OR):
      • Für unmittelbaren Schaden => kausale Haftung (Art. 208 Abs. 2 OR):
        • Gemäss Bundesgericht ist die Länge bzw. die Intensität der Kausalkette entscheidend dafür, ob ein unmittelbarer Schaden vorliegt. Der Schaden muss die direkte Folge des schädigenden Ereignis sein, ohne dass eine weitere selbstständige Schadensursache hinzutritt (BGE 133 III 257 E. 2.5.4).
      • Für weiteren Schaden => Verschuldenshaftung (Art. 208 Abs. 2 OR):
        • Weiterer Schaden = ein Schaden, der erst durch Hinzutreten weiterer Schadensursachen, die nicht zwingend mit dem Kauf zusammenhängen, bewirkt wird.
  • Minderung nach Art. 205 OR:
    • Minderung kann grds. immer gewählt werden ausser in denjenigen Fällen, wo der Minderwert dem Kaufpreis entspricht (vgl. Art. 205 Abs. 3 OR).
    • Minderung bedeutet Herabsetzung des Kaufpreises infolge eines Mangels an der Kaufsache.
    • Der Kaufpreis wird um jenen prozentualen Anteil reduziert, welcher dem Minderwert der Kaufsache zum Zeitpunkt des Gefahrenübergangs entspricht.
      • Berechnung des Minderwerts der mangelhaften Sache erfolgt nach der relativen Methode: Man berechne den objektiven Minderwert eines mangelhaften Kaufgegenstandes in Prozenten und reduziere den (subjektiv vereinbarten) Kaufpreis um denselben Prozentsatz.
      • In der Praxis gilt die Vermutung, dass die Wiederherstellungskosten dem Minderwert entsprechen.
    • Schadenersatz muss gemäss Bundesgericht über Art. 97 OR geltend gemacht werden (vgl. BGE 82 II 136 E. 3a).
  • Ersatzlieferung bei Gattungskäufen nach Art. 206 OR:
    • Der Verkäufer hat nach Art. 206 Abs. 2 OR lediglich beim Platzkauf ein Recht auf Ersatzlieferung. Nach h.L. soll dies jedoch auch für den Distanzkauf gelten.

Das Gesetz sieht im Gegensatz zum Werkvertragsrecht keinen Nachbesserungsanspruch des Käufers vor.

Für die Verjährung der Ansprüche aus Art. 197 ff. OR ist Art. 210 OR massgebend.