14.5.1 Haftung für Geschäftsführung (754)

Unter Organhaftung (Art. 754 OR) wird die persönliche Haftung der mit der

  1. Verwaltung,
  2. Geschäftsführung und
  3. Liquidation befassten Personen

für Schäden verstanden, die sie der Gesellschaft, den Aktionäre und – im Konkurs – den Gläubigern verursacht haben.

In den nachfolgenden Kapiteln (Kapitel 14.5.2 bis Kapitel 14.5.7) werden die einzelnen Haftungsvoraussetzungen erläutert.

Schaden

Pflichtwidrige Handlungen von Organpersonen lösen lediglich dann eine Haftplicht aus, wenn ein Schaden im rechtlichen Sinne vorliegt. Ein solcher besteht in einer Vermögensminderung gemäss der termDifferenztheorie.

Es muss zwischen einem unmittelbaren (direkten) und einem mittelbaren (indirekten) Schaden unterschieden werden:

  1. Ein unmittelbarer Schaden liegt vor, wenn es im Vermögen der Gesellschaft, des Aktionärs oder des Gläubigers direkt zu einer individuellen Vermögenseinbusse kommt. Die Gesellschaft ist immer direkt geschädigt. Aktionäre und Gläubiger können hingegen auch mittelbar geschädigt sein.
  2. Ein mittelbarer Schaden (sog. termReflexschaden) besteht in einer Verminderung des Vermögens des Aktionärs und im Konkurs auch des Gläubigers aufgrund einer unmittelbar im Gesellschaftsvermögen eingetretenen Schädigung. Der pflichtwidrig verursachte Gesellschaftsschaden wirkt sich negativ auf den Wert der Beteiligung des Aktionärs oder im Konkurs der Gesellschaft auf die Werthaltigkeit der Forderung des Gläubigers aus.

Aktionäre und Gläubiger, die einen mittelbaren Schaden erleiden, können einzig auf Leistung an die Gesellschaft klagen. Indirekt erlittener Schaden wird indirekt ersetzt. Die Beseitigung der Vermögensverminderung bei der Gesellschaft sollte auch den Schaden der Kläger decken. Der Nachweis und die Substanziierung des Schadens obliegen dem Kläger. Zur konkreten Bestimmung des Schadenersatzes sind die Art. 43 f. OR anwendbar.

Beispiele

Literatur

Rechtsprechung

Aktivlegitimation

Zur Verantwortlichkeitsklage berechtigt sind gemäss Art. 754 Abs. 1 OR grundsätzlich:

  1. die Gesellschaft,
  2. die Aktionäre (ebenfalls die Partizipanten, Art. 656a Abs. 2 OR) und
  3. die Gläubiger.

Neben der zentralen Frage, ob sich die Gesellschaft im oder ausserhalb des Konkurses befindet, ist für die Aktivlegitimation entscheidend, ob der durch die Pflichtverletzung bewirkte Schaden direkt im Vermögen der Gesellschaft und als Folge davon zudem als Reflexschaden im Vermögen des Aktionärs oder Gläubigers oder unmittelbar in demjenigen des Aktionärs (oder Gläubigers) eingetreten ist. Aktivlegitimation und Schaden sind eng miteinander verknüpft. Zum Schadensbegriff und der Differenzierung von direktem und indirektem Schaden siehe vorn Kapitel 14.5.2.

  1. Ausser Konkurs sind neben der Gesellschaft auch die Aktionäre legitimiert, einen der Gesellschaft entstandenen Schaden einzuklagen. Der Schadenersatzanspruch geht auf Leistung an die Gesellschaft (Art. 756 Abs. 1 OR).
  2. Die Gläubiger sind im Stadium der aufrecht stehenden Gesellschaft nicht berechtigt, Ersatzansprüche der Gesellschaft geltend zu machen, da sich der Gesellschaftsschaden durch den Umstand, dass ihre Forderungen durch Aktiven gedeckt sind, nicht auf sie auswirkt. Denkbar ist allerdings, dass die Gesellschaft aufgrund einer Sorgfaltspflichtverletzung eines ihrer Organe an Bonität verliert und dadurch die Forderungen der Gläubiger (z.B. eine Obligationsanleihe) schlechter handelbar werden und ihr Marktwert sinkt. Sofern eine solche Bonitätsminderung nicht bereits als Schaden der Gesellschaft eingestuft wird, könnte der Gläubiger allenfalls einen unmittelbaren Schaden nach Art. 754 Abs. 1 OR geltend machen.
  3. Hingegen ist es den Gläubigern und ebenso den Aktionären ohne Einschränkungen erlaubt, einen direkt in ihrem Vermögen entstandenen Schaden selbständig einzuklagen.
  4. Innerhalb des Konkurses können auch die Gläubiger Ersatz des Schadens an die Gesellschaft verlangen (Art. 757 OR), da aufgrund der Insolvenz der Gesellschaft feststeht, dass ihre Forderungen nicht mehr gedeckt sind (vgl. Art. 756 Abs. 1 und Art. 757 Abs. 1 OR). Es ist jedoch zunächst Sache der Konkursverwaltung den Gesellschaftsschaden geltend zu machen. Sofern diese untätig bleibt, können sich die Gläubiger und subsidiär die Aktionäre die Ansprüche abtreten lassen und prozessstandschaftlich selbst geltend machen.
  5. Durch die bundesgerichtliche Rechtsprechung hat die Klagebefugnis von Gläubigern und Aktionären zur Geltendmachung von direkten Schäden im Konkurs eine Einschränkung erfahren: Um zu verhindern, dass einzelne Gläubiger oder Aktionäre die Konkursverwaltung konkurrieren, besteht die Klagelegitimation von direkt geschädigten Gläubigern und Aktionären nur, wenn aktienrechtliche Bestimmungen verletzt wurden, die ausschliesslich dem Gläubiger- bzw. Aktionärsschutz dienen, ein widerrechtliches Verhalten i.S.v. Art. 41 OR vorliegt oder in Fällen der culpa in contrahendo (Schutznormtheorie).

Rechtsprechung

Passivlegitimation

Passivlegitimiert sind bei der Organhaftung alle Personen, die mit der Geschäftsführung oder der Liquidation der Gesellschaft betraut sind (Art. 754 Abs. 1 OR). Dies sind

  1. die termformellen Organe,
  2. die termmateriellen Organe,
  3. die termfaktischen Organe und
  4. die termOrgane gemäss Kundgebung.

Als formelle Organe i.S.v. Art. 754 OR kommen nur natürliche Personen in Frage. Hingegen ist es denkbar, dass eine juristische Person als faktisches Organ auf die Willensbildung der Gesellschaft einwirkt und unter die Organhaftung fällt. Ebenso können juristische Personen im Rahmen der Revisionshaftung (siehe hierzu Kapitel 14.5.10) verantwortlich werden.

Rechtsprechung

Pflichtverletzung

Verlangt ist ein pflichtwidriges Verhalten, also ein Verstoss gegen die den Organen durch Gesetz oder Statuten auferlegten Pflichten. Es wird jenes Mass an Sorgfalt erwartet, welches ein durchschnittliches, vernünftiges Organ in der gleichen Situation anwenden würde.

Die häufigste Sorgfaltspflichtverletzung bei Verwaltungsräten ist wohl die Verletzung einer der gesetzlichen Pflichten von Art. 716a OR. Eine Sorgfaltspflichtverletzung darf aber nicht leichthin bei jeder Entscheidung im Bereich der Geschäftsführung angenommen werden, welche sich im Nachhinein als falsch herausstellt (siehe Business Judgment Rule, Kapitel 14.2.7).

Beispiele

Rechtsprechung

Kausalzusammenhang

Zwischen dem widerrechtlichen Verhalten und dem Schaden muss ein termnatürlicher Kausalzusammenhang und ein termadäquater Kausalzusammenhang bestehen.

Verschulden

Erfasst wird sowohl fahrlässiges als auch vorsätzliches Handeln. Bereits eine leichte Fahrlässigkeit genügt zur Begründung der Haftung. Das Verhalten wird an einem termobjektivierten Sorgfaltsmassstab gemessen.

Rechtsprechung

  1. Entlastung (Art. 758 OR)

Kein Klageausschlussgrund

Durch den Entlastungsbeschluss der Generalversammlung gemäss Art. 698 Abs. 2 Ziff. 5 OR verzichtet die Gesellschaft auf Schadenersatzansprüche gegen die verantwortlichen Organe. Zu beachten ist dabei aber, dass nur Ansprüche mit Bezug auf bekannt gegebene Tatsachen untergehen. Ansprüche von Gläubigern bleiben von einem Entlastungsbeschluss unberührt. Grundsätzlich wirkt ein solcher Beschluss nur gegenüber Aktionären, die ihm zugestimmt haben. Nach Art. 758 Abs. 2 OR zieht er aber auch für nicht zustimmende Aktionäre eine Folge mit sich: Deren Klagerecht erlischt 6 Monate nach dem Entlastungsbeschluss.

  1. Einwilligung der Geschädigten (volenti non fit iniuria)

Nach der Rechtsprechung fällt eine Verantwortlichkeit ausser Betracht, wenn die ins Recht gefasste Organperson nachzuweisen vermag, dass sie mit dem Einverständnis des Geschädigten gehandelt hat. So kann sich die betreffende Organperson gegenüber der auf Schadenersatz klagenden Gesellschaft auf die haftungsbefreiende Einrede „volenti non fit iniuria“ berufen, wenn sie im ausdrücklichem oder stillschweigenden Einverständnis aller Aktionäre gehandelt hat oder einen gesetzeskonform gefassten und unangefochten gebliebenen Beschluss der Generalversammlung vollzieht.

Rechtsprechung

  1. Verjährung (Art. 760 OR)

Verantwortlichkeitsansprüche verjähren nach Massgabe von Art. 760 OR. Es wird zwischen einer absoluten und einer relativen Verjährungsfrist unterschieden. Die absolute Frist beginnt mit der schädigenden Handlung und dauert zehn Jahre. Die fünfjährige relative Verjährungsfrist beginnt an jenem Tag, an dem der Geschädigte Kenntnis vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen erlangt hat.

Wird die Klage aus einer strafbaren Handlung hergeleitet und sieht das Strafrecht eine längere Verjährung vor, so verjährt der Anspruch auf Schadenersatz frühestens mit Eintritt der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung. Tritt die Verjährung aufgrund eines Strafurteils nicht mehr ein, so verjährt der Anspruch auf Schadenersatz frühestens mit Ablauf von drei Jahren seit Eröffnung des strafrechtlichen Urteils.